Montag, 22. März 2010

Liebe deinen Nächsten...bloß nicht!

Ein weiser Herr namens Erhard Blanck sagte einmal

Nachbar - etymologisch stammt es vom nahen Bauern.
Da wird mir so manches klar.

Mir ebenso. Lieber Herr Blank, Sie haben direkt ins Schwarze getroffen, meinen besten Dank!

Wir alle wissen: Die Welt ist voller Verrückten und Narren. Und wir alle wissen, dass man ihnen überall auf den Straßen begegnet. Denen begegnet man jedoch wohl nur ein-, zweimal im Leben. Dramatisch wird es, wenn die Nachbarschaft voll davon ist. Man kann es sich ja meist nicht aussuchen bzw. ahnt im Vorraus nicht, mit wem man Wand an Wand leben wird. Hätte man mich mit heutigem Wissensstand damals vor 20 Jahren gefragt, ob ich hier wohnen wolle, wäre ich wohl schreiend davongelaufen.

Nachbarn sind eine Thematik für sich. Man hat zwar direkt nichts mit ihnen zu tun, wenn man nicht will, doch sind sie zwangsweise ein Teil des Lebens. In meinem Wohnhaus leben sechs Parteien, einschließlich mir, und ich muss mir doch desöfteren ins Gewissen rufen, dass es keine Irrenanstalt ist. Wirklich und ganz ohne Übertreibung! Es gibt ja viele verschiedene Spezien von Verrückten. Davon haben sich fünf um mich herum angesiedelt, wenigstens bietet das etwas geistige Abwechslung. Ehrlichgesagt weiß ich gar nicht, bei wem ich anfangen soll, weiß ich doch bei allen nicht so recht, ob ich lachen oder besser weinen soll.

Im zweiten Stock - ganz oben -, wohnt das Ehepaar F. Ehepaar F. besteht aus einem Mann und einer Frau, Rentner. Man erinnere sich, wie lange ich bereits in diesem Haus lebe...Ich habe diese Personen höchstens zweimal gesehen, daher kann ich nur wenig über sie sagen. Der Sage nach fahren sie jedes Jahr über den Winter nach Malle. Keine Ahnung, ob dies der richtige Ort für ein Renterpäarchen ist, doch vielleicht lassen die beiden dort die Sau raus und schwingen ihr altes Tanzbein zu Michael Wendler, während Herr F. von zehn nackten Frisösen träumt. Kann natürlich den gewissen Schwung in die Ehe fernab der goldenen Hochzeit bringen.

Daneben im obersten Stockwerk und direkt über mir wohnt das Ehepaar O. Ehepaar O. ist das Paradebeispiel einer Gewohnheits-Ehe. Das Kind, eine Tochter mit schreckenserregendem Lachen, ist aus dem Hause. Dramatischerweise nahm sie den letzten Pepp mit sich. Zurück blieb ein Paar, das sich überhaupt nichts mehr zu sagen hat, das getrennte Schlafzimmer nutzt und das Hausarbeit grundsätzlich ohne Rücksicht auf Verluste ausübt. Samstag ist es wieder soweit: die Wäsche wird gewaschen, das Abwasser gluckert lautstark durch die maroden Rohre und der Staubsauger wird schwungvoll gegen Heizungen gehauen und es wird genüsslich über den Laminatboden gekratzt. Nächtliches Fensterauf- und anschließend wieder -zuknallen inklusive. Was für ein Service! Doch damit nicht genug, das ist ja noch äußerst harmlos. Lange dachten wir, wir selber sind die Verrückten, aber es ist wahr: Wie sie es auch immer anstellen, Ehepaar O. verspürt stets zum selben Zeitpunkt wie wir unendlichen Harndrang oder mehr. Oft scheint es mir, als gäbe es in unserem Badezimmer eine unsichtbare Schwelle. Wenn wir sie übertreten, dann wird bei Familie O. die Spülung betätigt. Klingt komisch, ist aber so! Nein, ich bin nicht verrückt! Habe ich doch sogar schon mit dem Gedanken gespielt, das Ereignis per Video festzuhalten, quasi als Beweis, doch das erschien mir dann zu verrückt.


Meine direkten Nachbarn sind vor etwa einer Woche eingezogen. Die Nationalität ist mir noch immer unschlüssig, doch gibt der Mann der Familie M. einen wunderbaren lauthalsen, bevormundenden Tyrann ab. Mit Rücksicht als Fremdwort - wohl nicht das einzige - werden auch zu früher Morgenstunde im Nachbarsraum die Kinder, die Frau oder die Welt angeschrien. Wenn der Tyrann endlich mal die Klappe hält, trampeln und schreien die Gören. Die Frau geht wohl unter, sie habe ich bisher noch nie gehört. Schlafen ohne Ohropax ist für mich nicht mehr möglich, eine wunderbare Sache, wenn man den Wecker nicht mehr hören kann. Und wenn sie nicht im Zimmer nebenan ihre lauten Organe benutzen, dann muss sich von geöffneter (übrigens stark quietschender) Wohnungstür in den Keller unterhalten werden - ist doch ganz logisch und vollkommen einleuchtend.

Ergänzt wird Familie M. übrigens ganz wunderbar von Familie M. (II) aus dem Erdgeschoss direkt unter mir. Liegt vielleicht am gleichen Anfangsbuchstaben, wer weiß. Das entwickelt vielleicht ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Familie M. (II) hat vor anderthalb Jahren Nachwuchs bekommen: einen Jungen namens L. O Freude, L. lebt nun direkt unter meinem Zimmer, ist das schön! Schlimm genug, dass man vergeblich feststellen muss, dass dieses Exemplar die Baby-Schrei-Phase nach anderthalb Jahren noch immer nicht überwunden hat, nein, man kann auch noch nichts dagegen tun. Man sagte mir, normale Kinder schlafen in seinem Alter nachts durch. Natürlich ist L. nicht normal. L. nutzt die Gunst der Stunde und schreit sich hemmungslos zu später Stund' die Seele aus dem Leib, dass man manches Mal schon dachte, er würde abgeschlachtet auf grausamste Weise. Sprechen kann der Gute übrigens bis heute noch kein Wort. Normal ist das nicht, aber wäre er normal, würde er wohl nicht hier wohnen. Vielleicht würde ich auch andauernd schreien, wenn mein Vater mehr mit lautem Organ am Handy hängt, als dass er sich meiner Sprachentwicklung widmet.

Last but bestimmt nicht least: Das Ehepaar aus dem Erdgeschoss links. Der Ehemann, eine ganz arme Sau und völlig nicht erwähnenswert. Seine Frau, H., ein Bild von einer Frau. Ich verrate nicht viel, doch optisch ein Abbild Luise Koschinskys. Zugegeben, ich
weiß die Pracht ihres Charakters kaum würdig zusammenzufassen. Früher war sie wohl mal normal. Man kann nur spekulieren, was diese Frau derart veränderte. Heute ist sie nicht nur optisch alptraum- und höchst furchterregend. Nicht nur, dass sie mindestens 5x am Tag bei jedem Wetter und jeder Jahreszeit die Jacke anzieht, um Müll runter zu bringen, nicht nur, dass sie starke Stimmungsschwankungen hat und einen der stereotype Oma-Geruch allein beim Öffnen der Wohnungstür erschlägt, o nein - H. hat vor einigen Tagen eine neue Leidenschaft entdeckt: Sie reißt ohne Vorwarnung ihre Wohnungstür auf, sobald sie jmd im Treppenhaus vernimmt, fängt ihn ab und erzählt. Manchmal lässt sie bereits auf dem Balkon den sehnsüchtigen Blick nach einem "zufälligen" Gesprächspartner schweifen. Natürlich bekam sie so auch sehr schnell den Einzug der neuen Familie mit und klingelte bei ihnen, bevor diese überhaupt richtig eingezogen waren, um sich vorzustellen als Oma H. von unten. Um sicher zu gehen, mussten wichtige Informationen, die die Neuen mit Schrankwand auf den Schultern sicherlich brennend interessierten, mehrmals erwähnt werden. Nun weiß jetzt jeder, sie war mal Kinderkrankenschwester und lebt hier seit Neunzehnhundertnochwas...jedenfalls über 60 Jahre. Und sie war Kinderkrankenschwester. Und lebt hier seit über 60 Jahren. Und sie wohnt unten. Früher war sie einmal Kinderkrankenschwester.

Darunter ist Gott sei Dank nur noch der Keller, in dem höchstens einige Spinnen und Käfer ihr Unwesen treiben. Und meine vor Jahren verstorbene Spinne August, direkt neben unserem Keller. Ich glaube, August ist der Normalste hier.

4 Kommentare:

  1. Herrlich! :'D

    Wie gut das doch einem bekannt vorkommt.

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  2. Es ist mal wieder sehr gut geschrieben. Also falls du mal ein Buch schreiben und veroeffentlichen solltest bin ich die Erste, die es kauft :)

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  3. richtig gut geschrieben!Da bin ich doch
    froh, das wir unser eigenes Haus haben :'D

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